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Channel: Dogs & Garden » Enya
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Stinkig

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Wohlmeinender Besuch brachte vor kurzem ein vorgetriebenes Zwiebelblümchen mit.

Wuchs

In ein weißes Papiertütchen mit blütenförmigen Deko-Stanzlöchern gesetzt sah man vom bescheiden Gast vor allem die lanzettartigen Laubblätter. Die Blütenstiele verbargen sich noch schüchtern inmitten des Blattgrüns. An den Enden waren sie aber schon voll besetzt mit verheißungsvollen Knospen, die täglich dicker wurden.

Weder Art noch Name des Kindes war bekannt, es sah aber hübsch aus, und so warteten wir zwischen den Jahren gespannt auf das Schauspiel der Blütenentfaltung.

Zur besseren Wertschätzung wanderte der Überraschungstopf auf den großen Esstisch ins Wohnzimmer; hier war er auch vor Enya sicher, der Pflanzenfresserin. Die ersten zaghaften Blüten öffneten sich bald.

Jedoch konnte ich sie einfach nicht richtig genießen, da ich so beschäftigt war, den Wohnzimmerboden zu beäugen und abzusuchen. In der Luft hing ein übler, im Abgang scharfer Geruch. Das Hundemädchen hatte doch nicht etwa heimlich in einer Ecke einen See gemacht? Entgegen ihrer Gewohnheit, denn eigentlich ist Enyalein ja stubenrein. Der Teppich unter dem Tisch wurde schließlich sogar widerstrebend von Hand abgetastet, nachdem ich einfach nichts entdecken konnte. Hier war der Geruch eindeutig am stärksten. Ergebnis: keine Seen in der Teppichlandschaft oder auf dem guten Laminat drumherum.

Beim Hinsetzen wehte mich wieder eine besonders schwere Duftwolke an, was zur Überprüfung der Blume führte und der Stinker war entlarvt.

Blueten_vorn

Wie können so unschuldige, weiße Blütengesichtchen so schrecklich riechen?

Bluetenform

Das Zwiebelgewächs wanderte in den Vorratsraum, um fortan die Wohnräume zu schonen und die Heizkosten wieder in den Griff zu bekommen (was haben wir gegen das kleine Biest angelüftet!). Bei Enya entschuldigte ich mich viele Male. Nur weil jemand der/die Jüngste ist, muss er/sie ja nicht automatisch für alle Ekeldüfte verantwortlich sein. Und endlich schmeckte auch das Essen wieder.

Neugierig geworden recherchierte ich jetzt endlich im Netz, wen man mir hier inkognito ins Haus geschleppt hatte. Ich denke, die Familie der Lilien scheidet wohl aus. Sowohl ihre Blütenformen als auch die Form der Blätter stimmen mit meiner olifaktorisch begabten Peinigerin nicht überein. Voll erblüht schaffte die Luftverpesterin es übrigens binnen eines Tages, dass sich die Raufasertapete der Speisekammer von der Wand ablöste und die Konserven verschrumpelten. Olifaktorische Reize spielen bekanntlich auch für die Nachreifung von Obst und Gemüse eine große Rolle. Panisch trug ich die Unglückspflanze aus der Kammer heraus. Und immer noch bin ich nicht bereit, das Ding einfach draußen den Kältetod sterben zu lassen.

Deshalb stellte ich das böse Mädchen schließlich in den einzigen vom Wohntrakt getrennten Raum, die Werkstatt, und bete nun jeden Tag um gutes Wetter. Es ist nämlich so: bei gutem Wetter kann man die Hunde durch die Terrassentür nach draußen lassen, an schlechten nehmen wir den Umweg über den Innenhof und die Werkstatt in den Garten.  So trappeln sich 4 X 4 Pfoten auf dem Rückweg nämlich über einen Reinigungsläufer die Schmutzpfoten ab und sparen mir ab und zu mal das Aufwischen. Der Preis dafür ist neuerdings die ein oder andere Ohnmacht.

Mein vorläufiges Rechercheergebnis bezüglich unserer Stinkepflanze belastet die Familie der Narzissen schwer.

Möglicherweise handelt es sich um eine so genannte

Tazetten-Narzisse (Narcissus tazetta) “Paperwhite”.

Diese hört auch auf  den harmlosen Namen “Weihnachtsnarzisse” und wird zur Vortreiberei im Haus empfohlen. Man kann sie nachher leider nicht dauerhaft in den Garten setzen, da sie nicht winterhart ist.

In China gibt es den Brauch, zum Jahresende Tazetten zu treiben. Erblüht die “einhundertköpfige Wasserfee” rechtzeitig zum Neujahrstag, verheißt dies Glück und Gesundheit für das ganze Jahr. Die mehrblütige Narzisse treibt tatsächlich üppig Knospen, weshalb man sie, als hätte sie nicht schon genug Namen, auch noch “Bukett-Narzisse” nennt.

Die Tazette liebt Wasser unter ihrer Zwiebel, die man einfach dicht an dicht neben vielen Schwestern in eine Glasschale mit Kies setzen kann. Bei guter Pflege wächst die Schar zu einer anmutigen Pflanzengruppe heran, deren lange, dunkelgrüne Laubblätter in einem hübschen Kontrast die weißen Blütenwolken umspielen.

Oh je, einhundert Köpfe… Anderseits, wer das überlebt, geht aber sicher gestählt ins neue Jahr!

Tazettenführende Gärtnereien drücken sich meines Erachtens etwas unklar in der Duftbeschreibung aus. Ich lese Adjektive wie “weihnachtlich” oder “betörend”. Um keine falschen Erwartungen zu wecken, müsste dem wohl noch ein “überwältigend nach Pisse stinkend” zugefügt werden, (falls die Meine wirklich eine Tazette ist). Die alten Griechen waren da ehrlicher in der Namenswahl – “narkein” bedeutet “betäuben”; unser Wort “Narkose” deutet auf die Namensverwandtschaft der Blume mit der medizinischen Fällmethode hin.

Und schließlich Ovid, der alte Römer, beschreibt in seiner Sage vom Narziss den Habitus der Zwiebelblume genau. Narziss war der Jüngling, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt und daran zugrunde geht. Anstelle seines Leichnams fand man dann nur noch eine Narzisse. Ob Ovid mit der Pflanzenwahl ausdrücken wollte, dass Eigenliebe stinkt oder deutet die Sage gar an, dass Eigengeruch töten kann?

Mein hierauf hin gefasster Vorsatz fürs neue Jahr lautet:

  • Sobald meine großen und kleinen Gartennarzissen im April erscheinen, werde ich mich einmal herunterbeugen und ihren Geruch überprüfen.

Sollten sie so erbärmlich stinken wie die Werkstattpflanze, dürfen sie aber dennoch stehen bleiben. An der frischen Luft verfliegt Gestank  ja schön. Man muss nur darauf achten, dass man nicht in der Windrichtung steht.

Viele Grüße und Frohes Neues,

Rike Menn

Nachtrag:

Ein detektivischer Geistesblitz ließ mich nun einmal das Findelkind aus seiner Papiertüte heben, um am Topf nach einem Namen zu suchen. Und tatsächlich, der Topf wies eine “Narcissus” tète-à-tète aus.

Die Suche der tète-à-tète endete im internet bei verschiedenen online-Gärtnereien bei diversen großkronigen, gelben Exemplaren, alle mehrblütig an einem Stiel. Unter diesem Sammelnamen firmieren wohl ganz unterschiedliche Züchtungen. Schließlich wurde meine nochmalige Spurensuche aber doch in einem Nachbarblog belohnt, und ich darf das schöne, wenn auch stinkende Kind jetzt endgültig auf einen Namen festnageln: Narcissus tazetta “Paperwhite”.

Sagte ich ja schon. Die Gute trug ihre Entmystifizierung ganz gelassen.


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